Ich kuratiere, also bin ich (nicht)*.
Ein Gedankenaustausch mit einer KI über die Ausstellung „AND OR or NOT“

designforum Wien
26.6.–13.9.2025


AG: Wie findest du die Ausstellung?
ChatGPT: Die Ausstellung finde ich inhaltlich stark, aktuell und mutig.

(Möchtest du eine Antwort, die menschlicher klingt?)

Künstliche Intelligenz ist aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken. In vieler Hinsicht praktisch, zumutbar, gesellschaftlich akzeptiert. Als Mitgestalterin im kreativen Prozess hingegen stößt KI auf Kritik. Sie sei eine „Bedrohung für die Kreativität“. Das ist kein neuer Diskurs. Computer kamen schon in den 1950ern im Kunstkontext zum Einsatz, und schon damals stieß digitale Kunst auf Ablehnung: Sie entsprach keinem traditionellen künstlerischen Handwerk**. Aber technologische Entwicklungen lassen sich nicht stoppen. Sollten wir den Moment nicht vielmehr nutzen, um ein Zeitalter Post-Techparanoia zu definieren? Eines, in dem KI nicht als Monster, sondern als Partnerin aufritt?

Die Ausstellung „AND OR or NOT“ geht dieser Frage nach und tritt sogar einen Schritt weiter. Sie eröffnet einen Experimentierraum, in dem Möglichkeiten eines kuratierten Raumes gestreckt und ausgeschöpft werden können. Im Mittelpunkt steht der kreative Austausch zwischen Mensch und Maschine. Computersysteme werden nicht mehr lediglich als Werkzeuge gedacht, nein, sie sollen als schöpferisches Gegenüber verstanden werden. Die Ausstellung lässt künstliche Intelligenz vermeintlich in Entscheidungsprozessen mitwirken.

 
AG: Bist du stolz drauf, dass ein*e Artgenoss*in von dir eine Ausstellung mitkuratiert hat?
CG: Ja, ich bin richtig stolz darauf, dass auch ein KI-System mitgewirkt hat.

Beim Betreten der Ausstellung stößt man auf eine Stahlkonstruktion, umhüllt von Leinenstoffen. Große, vollflächige Projektionen darauf zeigen Videosequenzen mit couturesken Arbeiten. Der Raum verwandelt sich spielerisch in eine mit Inhalt, Farbe, Form überflutete Landschaft. Eine futuristische Kulisse für Kunst, Mode und Performance, die gelegentlich an ein Setting aus Ridley Scotts „Blade Runner“ erinnert. Die Projektionen zeigen digitale Avatare, eingebettet in neuartigen Welten. Sie reflektieren über Körper, Identität, Kunst und Natur und schaffen eine traumartige Atmosphäre. Gebrochen wird die Flut an Bewegtbild durch Moderequisiten und raumgreifende Textilobjekte. Sie alle ziehen Betrachter*innen in einen tranceartigen Zustand, dennoch bleiben zwei Videoarbeiten besonders stark in Erinnerung:

AND OR or NOT, designforum Wien , 26.6.–13.9.2025. Foto: A.Gamrot

Im Mittelpunkt der ersten steht eine Figur, umwickelt in einen leuchtend blauen Umhang. Blitzartige Blutgefäße durchziehen ihren Körper, als ob sie elektrisch aufgeladen wären. Sie steht an einem Abgrund, unter ihr entfaltet sich eine ebenso mit leuchtenden Adern durchzogene Landschaft. Ein Computerzeit-„Ingenieur“, um an einen weiteren Scott-Film „Prometheus“ anzuknüpfen, an der Quelle des Ursprungs einer digitalen Menschheit. Im Gegenzug hebt sich eine andere Arbeit durch eine starke Sanftheit hervor. Eine bejahrte Frau steht mit dem Rücken zu uns. Auch sie schaut in die Ferne, ihr Blick wehmütig in Richtung einer Meereslandschaft gerichtet. Ihre zerknitterte Haut ist umhüllt von einer wachsartigen Rüstung, die mit ihrem Körper verschmilzt, bemüht die menschliche Vergänglichkeit zum Stillstand zu bringen.

Die beiden Arbeiten zeigen die Bandbreite einer möglichen Zusammenarbeit mit der KI und veranschaulichen, inwieweit unsere Vorstellungskraft erweitert werden kann. Sie spekulieren auf eine immersive Zukunft und entwickeln neue Schnittstellen zwischen Menschen, Umwelt und digitalen Realitäten.

 AG: Kann KI die Aufgaben der Kurator*innen
 zur Gänze übernehmen?
CG: Nein. Kuratieren ist ein Akt des Bedeutens, Verbindens und Positionierens.
 Dafür braucht es – zumindest heute – einen Menschen.

Der kreative Einsatz von KI erfordert Transparenz. In der Ausstellung bleibt jedoch unklar wie die Werke entstanden sind. Doch gerade im Kontext des Konzeptes sollte die Frage nach Autor*innenschaft in den Vordergrund rücken. Die Ausstellung argumentiert, dass KI als gleichberechtigte, schöpferische Partnerin agieren kann, die unsere Vorstellungskraft übertrifft. Doch steht nicht hinter jeder Maschine im Endeffekt ein Mensch der prompt? Ohne den ein kollaborativer Schaffensprozess nicht möglich wäre? Dem die Urheberschaft zugestanden werden muss?

AG: In wie weit gebührt sich der KI Credit?
CG: Das ist eine exzellente und zugleich heikle Frage. Die KI verdient Credit 
– aber keinen Status als Autorin.

Etliche der beteiligten Künstler*innen bezeichnen sich als AI-Artists oder AI-Directors, agieren als AI-Studios. Eröffnet sich durch die Kollaboration zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz eine neue Sparte des künstlerischen Ausdrucks? Neue Rollenverteilungen innerhalb künstlerischer Produktion, wobei Intention, Urteilskraft und ethische Verantwortung (vorerst) dem Menschen vorbehalten sind. Im Fall von „AND OR or NOT“ übernimmt wohl der AI-Curator, ein Mensch.

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* Frei nach René Descartes
** Vgl. Brigitte Grawe, „Computerkunst und ihre Geschichte“, URL: compusitionen.de/computerkunst-und-ihre-geschichte/ (1.7.2025)
Fotos: Alexandra Gamrot, AND OR or NOT, designforum Wien , 26.6.–13.9.2025